Kampf der Systeme und ein geheimer Einblick in die Phototasche: Sony vs. Nikon

Vor etwas mehr als zwei Jahren bin ich von Nikon zu Sony gewechselt, seitdem wollte ich einen Artikel schreiben, in dem ich beide Systeme vergleiche. Nachdem mir vor ein paar Tagen die D700 mal wieder in die Hand fiel, rückte mir dieser Vorsatz wieder ins Bewusstsein. Achtung: Dieser Artikel richtet sich zwar vor allem an Photographen und Technik-Nerds, dennoch gibt’s hier kein Pixelpeeping und keine Messdaten, mein Fokus liegt eher auf den Unterschieden in der Handhabung.

Wo komm ich her, wo geh ich hin?

Als Nikon 2008 die D700 ankündigte, war mir, als hätten die Götter der Photographie meine Gebete erhört: Endlich eine bezahlbare, digitale Vollformatkamera von Nikon, die technisch ansonsten weitgehend identisch mit der acht Monate vorher vorgestellten Nikon D3 ist, aber weniger als die Hälfte dieser kostet und dabei auch deutlich kompakter ist. Sogleich bin ich zum Photohändler meines Vertrauens gerannt und habe eine vorbestellt, als ich sie Wochen später in den Händen hielt, war ich angekommen:. Nie wieder würde ich eine andere Kamera brauchen! Das stimmte zwar nicht ganz, denn zum einen habe ich diverse kompaktere Modelle ausprobiert als „Immerdabei-Kameras“ und zum anderen habe ich irgendwann auch noch eine zweite D700 gekauft, hauptsächlich, um bei Hochzeiten nicht mehr so oft Objektive wechseln zu müssen, doch ich war lange glücklich mit der D700.

Die D700 und ihre ihr später zur Seite gestellte Zwillingssschwester funktionierten auch 2020 beide noch tadellos, waren aber technisch doch ein wenig in die Jahre gekommen: Die Sensoren wurden immer besser, aber auch bei Autofokus und anderen Funktionen gab es enorme Fortschritte, so dass ich immer häufiger über ein Upgrade nachdachte. Das Angebot von Nikon zu diesem Zeitpunkt überzeugte mich jedoch nicht wirklich, und da ich zum einen mit einer Sony NEX 6 als kleiner Immerdabei-Kamera seit Jahren zufrieden war und mir andererseits die Vollformatkameras der Alpha 7-Reihe in punkto Design und Bildqualität schon lange gefielen, habe ich eines Tages bei einem günstigen Gebrauchtangebot einer Sony Alpha 7 III zugeschlagen.

Doch auch wenn diese mit einem gar nicht mal schlechten Sony 50/1,8 daherkam, braucht es für eine professionelle Ausstattung doch noch ein wenig mehr. Erste Tests zeigten mir, dass ich mit der A7III zwei Blenden mehr bei der Empfindlichkeit rausholen konnte im Vergleich zur D700, also erschien es mir vertretbar, bei den benötigten Zooms an der Lichtstärke zu sparen und statt der großen, teuren und vor allem schweren 2,8er-Zooms mit Lichtstärke 4 vorliebzunehmen.

Bei Nikon waren immer mit dabei in der Phototasche:

  • 17-35/2,8 AF-S
  • 28-70/AF-S
  • 80-200/2,8 AF (Schiebezoom)
  • 35/2 AF
  • 85/1,4 AF-D
  • 2x SB800-Blitz + Funkauslöser

Bei Sony musste dann also folgende Grundausstattung her:

  • Zeiss 16-35/4
  • 24-105/4 G
  • 70-200/4 G
  • 35/1,8 FEL
  • 85/1,8 FEL

New is always better?

Und da kam auch schon das erste Ärgernis mit Sony: Das sind alles super Objektive, die ich alle sehr gerne nutze, aber gefühlt hat jedes eine andere Filtergewindegröße und damit unterschiedlich große Frontdeckel. Während die oben erwähnten Nikon-Linsen allesamt 77mm-Deckel hatten (bis auf das 35/2) und man beim Objektivwechsel einfach den Deckel vom einen auf’s nächste machen konnte, muss man bei Sony immer erst den passenden Deckel in der Phototasche suchen.

Nächstes Ärgernis: Bei der Nikon D700 drückt man zwei Tasten gleichzeitig für ca. 3 Sekunden, und die Speicherkarte wird formatiert. Bei Sony muss man dafür ins Menü, und das gleich zweimal, denn sie hat zwei Speicherkarten (was prinzipiell was Gutes ist).

Die Nikon-Blitze durften bleiben, wurden aber inzwischen durch einen günstigen Nissin-Blitz mit dazugehörigem Funkauslöser ergänzt. Und damit kommen wir zum dritten Punkt, an dem Nikon Sony voraus ist: Nikons „Creative Lighting System“ oder kurz CLS erlaubt es, kompatible Blitze von der Kamera aus entfesselt zu steuern (mit dem eingebauten Blitz der D700, der ansonsten aber für nicht viel zu gebrauchen ist), außerdem ist die Synchronzeit mit 1/250 (statt 1/160) kürzer und das CLS unterstützt ausnahmslos Kurzzeitsynchronisation, was Blitzdingsen auch bei kürzerern Belichtungszeiten bis zu 1/8000 erlaubt. Außerdem kriege ich den doofen Nissinblitz bei der Sony nicht dazu, auf den zweiten Vorhang zu blitzen.

Und zu guter hat die D700 Knöpfe und Schalter für alles mögliche: Einen Schalter neben dem Bajonett zum Umschalten der AF-Modi (MF, AF-S, AF-C), ein Wahlrad für die ISO-Empfindlichkeit und vor allem keine doppelt belegten Tasten.

Alles doof? Dann geh doch zurück!

Zum Glück war’s das aber schon mit den Nachteilen. Nachteile übrigens, die sich im Alltag als nicht allzu gravierend erweisen. Die Frontdeckel mach ich eh erst am Ende des Arbeitstages alle wieder drauf, da kommt’s auf ein paar Sekunden mehr beim Suchen und Sortieren auch nicht an.

So oft muss ich die Blitzleistung auch nicht anpassen, dass man nicht ab und an mal hingehen und das direkt am Blitz machen kann.

Und auch wenn die Menüs bei Sony eine Katastrophe sind: Oft benötigte Punkte kann man sich in ein Favoritenmenü legen (hat Nikon übrigens auch!) und hat dort schnellen Zugriff, und ob das Formatieren der Speicherkarte(n) nach einem langen Tag voller Hochzeitsphotographie oder Shootings und dem Transfer der Bilddaten auf’s heimische NAS nun fünf oder zwanzig Sekunden dauert, macht den Bock auch nicht fett.

Von den Schaltern und Tasten dachte ich zunächst, ich würde den AF-Hebel am meisten vermissen. Aber zum einen habe die meisten Sony-Objektive einen solchen Schalter am Objektiv, und zum anderen hat die Sony A7 III diverse „Custombuttons“, deren einen ich mit eben dieser Funktion belegt habe. Doch viel wichtiger: Ich muss gar nicht mehr so oft umschalten! Bei Nikon habe ich oft schnell in den MF-Modus gewechselt, wenn der Autofokus nicht hinterherkam oder kein Ziel gefunden hat. Der AF bei Sony ist soviel besser, dass das praktisch nie vorkommt. Auch das ISO-Wahlrad vermisse ich kaum, da ich meist eh die sehr gut funktionierende ISO-Automatik nutze- und wenn doch benötigt, gibt’s dafür einen Custombutton. 🙂 Generell ist es sehr gut, dass man nahezu alle Knöpfe, Taster und Rädchen fast beliebig mit Funktionen belegen kann. So habe ich die AF-On-Taste der Sony mit der AF-Halten-Funktion belegt, weil an der Stelle auch die AF-L-Taste der Nikons ist und ich da einfach am Besten mit dem Daumen hinkomme.

Nur das mit der fehlenden Möglichkeit, auf den zweiten Vorhang zu blitzen, nervt, aber zugegeben, das ist ein Feature, das ich eher selten nutze.

Alles wird gut!

Abgesehen also von diesen doch eher kleinen Nachteilen ist bei Sony alles besser oder mindestens genauso gut: Die Objektive sind sa-gen-haft. Alle bei Offenblende schon sauscharf bis in die Ecken, der Autofokus ist ein Traum, selbst bei bewegten Motiven, und muss man mal manuell fokussieren: Es gibt zwar keinen optischen Sucher und keine (nachgerüstete) Schnittbildmattscheibe, aber der elektronische Sucher (EVF) ist so gut, dass man in Verbindung mit der elektronischen Sucherlupe und einer Kantenhervorhebung (alles, was das AF-Modul als scharf erachtet, wird farbig hervorgehoben) richtig schnell von Hand scharf stellen kann.

Renaissance des Altglas

Letzteres führte nämlich zu einem so nicht erwarteten Phänomen: Das Photographieren mit den schönen, alten Nikon-Ai-Festbrennweiten macht auf einmal richtig Spaß! Die kann man nämlich ganz einfach mit einem sehr günstigen Adapter (ca. 10 Euro bei Ebay) an die Sony dranflanschen. Ich habe soviel Vertrauen in die MF-Unterstützung der Kamera, dass ich manchmal Konzerte, Festivals und andere Veranstaltungen komplett mit Altglas photographiere und der Ausschuss sich in Grenzen hält. Selbst bei Hochzeitsshootings kommt hin und wieder Vintage-Zeug vor den Sensor, auch wenn ich sonst eher die Flexibilität der Zoom-Objektive schätze.

Weiterer Vorteil des Altglas: Fast alle meine alten Festbrennweiten verfügen über ein 52mm-Filtergewinde, was Spielereien mit Infrarot- oder ND-Filtern (für Langzeitbelichtungen bei Tageslicht) wesentlich fummelfreier macht, weil man nur eine Filtergröße braucht.

Weitere unerwartete Vorteile

Völlig losgelöst

Die D700 lässt sich fernauslösen: Entweder per Kabel oder per Funk mittels China-Auslösern (die man in der andern Richtung auch zum Auslösen der Blitze nutzen kann). Bei der Sony Alpha 7 III geht das noch einfacher: Entweder per App über das Smartphone, per Infrarotfernbedienung (10 Euro bei Ebay) oder Bluetooth-Fernbedienung (80 Euro von Sony). Letztere beide ermöglichen auch Langzeitbelichtungen über 30 Sekunden im Bulb-Modus, die teurere Bluetooth-Version funktioniert zuverlässiger bei Tageslicht und braucht keinen Sichtkontakt zur Kamera. Das Smartphone hat man eh immer dabei, und die beiden Auslöser sind so klein und leicht, dass sie problemlos in die Phototasche passen. Leider kann man nur entweder Bluetooth oder IR benutzen und muss das im Menü recht umständlich umstellen, deswegen habe ich eine meiner A7 IIIs (die „MF-Kamera“, weil ich da meist Altglas davorschraube) so eingestellt, dass sie sich mit dem IR-Auslöser fernsteuern lässt, die „AF-Kamera“ dagegen mit dem Bluetooth-Ding gekoppelt (ja, man kann das Ding auch nur mit einer Kamera koppeln. Auch bissl dämlich, wenn man mich fragt.).

Nicht essentiell, aber sehr nett zu haben ist übrigens die mir schon von der NEX 6 bekannte Möglichkeit, Bilder (leider nur im JPG-Format) von der Kamera auf’s Handy zu schicken.

Als die Bilder laufen lernten

Die Nikon D700 konnte gar nicht filmen, diverse andere Nikon-Kameras, die zwischenzeitlich auch in meinem Besitz waren, konnten das, wenn auch eher schlecht als recht. Allerdings ist das auch ein Feature, das ich eher selten nutzte. Dachte ich, bis ich mal die Videofunktion der Alpha 7 III ausprobiert habe. Zum Youtuber oder Hochzeitsvideograph werde ich trotzdem nicht so schnell, aber es macht viel Spaß, damit herumzuspielen.

Gewohnheiten ändern sich

An den beiden D700 hatte ich bei Hochzeitsreportagen für Shooting und Kirche/Standesamt an der einen das Weitwinkelzoom (17-35mm) und an der anderen das Telezoom (80-200mm) bzw. das 85er, für Sektempfang und Feier kam dann das Standardzoom (28-70) dran und die zweite Kamera in die Tasche. Bei Sony war es ähnlich gedacht, allerdings hat sich rausgestellt, dass mir in den meisten Fällen der Brennweitenbereich des Standardzooms von 24-105mm völlig ausreicht. 24mm klingt nicht soviel weitwinkliger als 28mm, ist es aber! Und auf der anderen Seite sind 105mm meist auch lange genug.

Dann kam aber auch noch Tamron mit einem neuen Objektiv mit nie dagewesenen Spezifikationen daher: Ein 35-150mm-Zoom mit Lichtstärle 2-2,8! Und das ist auch über den gesamten Brennweitenbereich schon bei Offenblende knackscharf, nur der AF ist nicht ganz so schnell wie bei den Sony-Linsen (aber immer noch deutlich schneller als das 80-200er an der D700). Einziger Nachteil: Das Ding ist sehr groß und schwer. Für Hochzeitsreportagen kein Problem, als Reisezoom aber doch eher ungeeignet. Aber dafür habe ich ja noch die kleinen Festbrennweiten, die nach unten übrigens auch durch ein hervorragendes 20/1,8 G ergänzt wurden.

Fazit

Die Sonys können fast alles, was die D700 auch konnten, das meiste davon aber deutlich besser. Dazu sind sie deutlich kleiner und leichter. Das Photographieren mit alten, manuellen Objektiven fühlt sich fast an, wie mit der guten, alten Nikon FM2n (die auch ab noch einen Film spendiert kriegt), insbesondere wenn man den SW-Modus in der Kamera aktiviert und einen Rotfilter vor das Glas schraubt. Nur den Verschluss muss man nicht mehr spannen. 🙂

Außerdem können die Sonys Sachen, die bei der Nikon undenkbar waren. Dank Klappdisplay sind Pespektiven aus Bodenhöhe möglich, ohne dass ich mich notwendigerweise auf selbigen werfen muss, eine gute Videofunktionalität ist mehr als ein Nice-To-Have.

Ob ich den Wechsel zu Sony auch jetzt im Jahre 2022 nochmal genauso machen würde, weiß ich nicht, denn Nikon ist bei spiegellosen Kameras inzwischen auch sehr gut aufgestellt und ich hätte wahrscheinlich doch einiges mehr an Linsen und Zubehör wie gewohnt weiternutzen können. Andererseits hätte ich mir wahrscheinlich über kurz oder lang auch die kleineren und leichteren extra für die Spiegellosen gerechneten neuen Objektivversionen geholt, insofern wäre finanziell auch nichts gewonnen. 🙂 Und das Sony-System ist halt auch verdammt gut. Ich bereue den Umstieg jedenfalls nicht.

Die erste D700 durfte übrigens bleiben. Durch den jahrelangen Gebrauch ist sie so abgegriffen, dass sie finanziell eh nicht mehr wert ist, aber dass sie meine treue Begleiterin für 12 Jahre war und mir dabei atemberaubende Photos voller Erinnerungen ermöglicht hat, ist mit Geld eh nicht aufzuwiegen. ❤

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